Es gab für mich ein sehr bewegendes und wegweisendes Gespräch mit Kobun Sama. Ich erzählte ihm von unserer Art den Bogen zu schießen. Nicht mit einem Kyudobogen und auch nicht in der äußeren Form dieser Tradition. Ich berichtete ihm, dass wir andere Bogen verwenden und ganz konsequent Zazen und die Bogenübung als „Komplettpaket“ in unserem Hause anbieten. Es gab zu damaliger Zeit, aus dogmatischen Zen-Kreisen, viele Bedenken bezüglich dieser Praxis und ich war mir nicht sicher, ob das, was wir taten richtig war im Sinne des Zen. Wie befreiend und ermutigend waren Kobuns Worte:
„Macht weiter so, lasst Euch nicht beirren, es ist gut, was ihr tut!“
Das war so klar, so präsent, ohne Vorbehalte, keine diplomatischen Verschlüsselungen, war einfach Zen pur! So sind wir weiter gegangen, haben unsere Übung ergänzt durch die Erfahrungen mit dem indischen Bogenschießen, und damit unser Profil entwickelt. Eine wichtige Station auf dem Weg war das Gespräch mit Kobun. Wir danken ihm!
Wer sich informieren möchte was daraus geworden ist, besucht uns im Internet unter www.altbaeckersmuehle.de, bzw. www.zen-bogenschiessen-altbaeckersmuehle.de
–Kurt KyuSei –
Das Ziel der Praxis
Von Jeff Brooks
Kobun Chino konnte ein Blatt Gras aus 25 m Entfernung spalten. Seine Studenten beobachteten ihn viele Male dabei. An einem Frühlingstag fuhr er mit einem seiner Studenten am Pacific Coast Highway entlang. Er hielt das Auto am Strassenrand an, öffnete den Kofferraum und zog einen zwei Meter langen Japanischen Bogen und einem Köcher mit handgeschnitzten Pfeilen heraus. Sie schritten über die Strasse zur Klippe, von welcher man die wogende Brandung und den unendlichen, sich bis zum Horizont erstreckenden Pazifik überblickte. Hätte der Student empor gesehen, so würde er den gleichmässig blauen und wolkenlosen Himmel über dem Pazifik gesehen haben, aber sein Blick war auf die Hände seines Lehrers fixiert, der meisterhaft den Pfeil auf die Bogensehne legte und, mit einem leichten Einatmen, die Sehne bis zum Maximum spannte, seine Arme und Rücken wurden Teile des Bogens, sein Blick so scharf wie die Spitze des Pfeiles.
Die Welt erstarrte für einen Moment, und dann, den Lärm der Brandung überdeckend, kam das Geräusch des sich lösenden Pfeiles, der „matsu kaze“, der Kiefernwind, als die Sehne des Bogens zum Stillstand kam. Der Pfeil flog in einem hohen, gigantischen Bogen über den Ozean.
Kobun Chino war ein Zen Mönch. Er unterrichtete in einem kleinen Zentrum in Los Altos und in Santa Cruz. Suzuki Roshi, der Gründer und Leiter des Zen Center of San Francisco, hatte ihn eingeladen, von Japan in die USA zu kommen, um ihm beim Aufbau des neu gegründeten Klosters Tassajara zu helfen. Aber Kobun war kein Freund von grossen Institutionen und suchte ein einfaches, meditatives Leben.
In den späten 60er Jahren besuchte Suzuki Roshi das kleine Zendo eine Zeit lang jeden Mittwoch und gab dort nach dem Sitzen einen Dharma Vortrag. Die Reden die er dort hielt, wurden später unter dem Titel: „Zen Mind Beginner’s Mind“ („Zen Geist – Anfänger Geist“) veröffentlicht, bis heute eines der einflussreichsten Zen Bücher.
Für einen Moment verschwand der Pfeil, gegen das Leuchten des kalifornischen Himmels, vor den Augen des Studenten. Er tauchte wieder auf, ein Federstrich gegen das Blau, schwebte, und begann seinen langen Abstieg und verschwand schliesslich graziös im Wasser. Die Männer brachten den Bogen und den leeren Köcher zurück in den Kofferraum ihres Wagens und fuhren davon. Heute ist der Student dieser Geschichte in seinen Sechzigern, und er erzählte kürzlich bei Kerzenlicht in einer Winternacht in Neu England in unserem kleinen Zendo von dem Tag mit seinem Lehrer vor 35 Jahren.
Hätte ein Fremder oder ein Neuling diesen jungen Mönch gesehen, wie er Pfeile in die See hinaus schoss, hätte er vielleicht geglaubt, dass der Mann die Pfeile verschwendet. Aber dieser Student sah Kobun ein Blatt Gras aus einer Distanz von 25 Meter spalten. Dieser Student kannte Kobun als einen leichtherzigen, aber tief ernsten Mann. Und beide wussten, dass Lehrer lehren. Selbst wenn sie keine gemeinsame Sprache miteinander teilen, so teilen Studenten und Lehrer ihr Leben miteinander. Und ihre intime karmische Verbindung kann das Wesentliche in Lebenssituationen manchmal besser vermitteln, als jede gesprochene Sprache.
Was war es, das Kobun an diesem Tag lehrte? Können wir sagen, dass Kobun seinem Studenten ein Koan auf gab? Wörtlich genommen ist ein Koan eine öffentliche Sache, ein Ereignis, das weiter gegeben und einer Prüfung und einem Abwägen unterworfen wird. In China bezeichnete das Wort einen Präzedenzfall, welcher zur Interpretation des Gesetzes herangezogen wurde. In der Zen Tradition ist das Koan eine öffentliche Sache, die sich auf das Thema Erleuchtung bezieht, auf die Natur der letzten Realität.
Wollte Kobun sagen: „Nur diesen Augenblick“? Wollte er zu seinem Studenten, einem engagiert Praktizierenden, sagen: „Befasse Dich nur mit dem Prozess, nicht dem Ziel“? Vielleicht wollte er ausdrücken, dass in der Praxis, wie im Leben, es kein besonderes Ziel gibt. Dass, ungeachtet dessen, wie perfekt unser Ziel definiert ist, die Flugbahn unserer Gedanken ins Unendliche geht, die Flugbahn unseres Lebens ins Unendliche geht; dass das einzige was wir wirklich haben, der Punkt auf dem Weg ist, auf dem wir uns gerade jetzt befinden; die einzige Handlung die wir ausführen können die Handlung ist, die wir gerade jetzt ausführen. Vielleicht wollte er auch einfach nur sagen: „es macht Spass Pfeile in den Himmel und in den Ozean zu schiessen“.
Metaphysische Spekulationen helfen da nicht weiter, nur der direkte Einblick in die Natur der Realität befreit uns vom Leiden, dauerhaft und ganz. Kobun Chino verstarb beim Versuch, seine 5-jährige Tochter aus einem Badeteich zu retten. Das veranschaulicht auf dramatische Weise den Lebensweg dieses grossen Zen Lehrers. Was er in diesem speziellen Moment, vor so vielen Jahren lehrte, hat uns hier und jetzt inspiriert, es scheint, dass sein Leben weiter durch Raum und Zeit fliegt.